kosmische Materie: Verteilung im Weltraum und physikalische Zustände

kosmische Materie: Verteilung im Weltraum und physikalische Zustände
kosmische Materie: Verteilung im Weltraum und physikalische Zustände
 
Die Analyse der Spektren ist das wichtigste Verfahren zur Gewinnung von Information über die kosmische Materie. Mit ihrer Hilfe lässt sich nicht nur deren chemische Zusammensetzung, das heißt das Vorkommen und die Häufigkeitsverteilung der chemischen Elemente im Weltraum, ableiten, sondern können auch Aussagen über die physikalischen Zustände der kosmischen Materie in deren unterschiedlichen Organisationsformen gewonnen werden.
 
 Die kosmische Elementverteilung
 
Aus der Analyse der Spektren ergibt sich, dass Wasserstoff mit einem Massenanteil von über 70 % das bei weitem häufigste chemische Element im Universum ist, gefolgt von Helium mit einem Anteil von etwa 25 % und einem Rest von etwa 2 % schwerer Elemente, unter denen man in der Astronomie alle Elemente mit einem Atomgewicht größer als dem von Helium versteht. Die große Häufigkeit von Wasserstoff und Helium erklärt sich aus dem Umstand, dass es sich bei Letzteren um »Urknall-Elemente« handelt. Sie entstanden in den frühesten, heißen Phasen des Universums, anders als die schweren Elemente, die erst später in den Sternen gebildet wurden.
 
Der wesentliche Bildungsmechanismus der chemischen Elemente ist die Kernfusion. Ausgehend vom Grundelement Wasserstoff werden in einer ersten Stufe (»Wasserstoffbrennen«) aus Protonen Heliumkerne aufgebaut, danach in einer zweiten Stufe (»Heliumbrennen«) aus Heliumkernen Kohlenstoff- und Sauerstoffkerne. In weiteren Stufen können daraus Neon-, Magnesium-, Silicium-, Schwefel- und schließlich Eisenkerne fusioniert werden. Da bei einer Fusionsreaktion die elektrische Abstoßung der Reaktionspartner überwunden werden muss, die proportional zu ihren Kernladungszahlen wächst, erfordert das Zünden jeder nachfolgenden Fusionsstufe eine höhere kinetische Energie der beteiligten Teilchen und damit eine höhere Temperatur in der Brennzone.
 
Die typischen bei Kernreaktionen auftretenden Energien liegen in der Größenordnung von einem Megaelektronvolt (MeV), was einer Temperatur von etwa 10 Milliarden Kelvin entspricht. Diese Energien wurden im rasch expandierenden frühen Universum nur für eine relativ kurze Zeitspanne erreicht — im Standardmodell für die Zeit von etwa 1 bis 5 Minuten nach dem Urknall. Innerhalb dieser Zeit nahm die Temperatur von 1,3 Milliarden Kelvin auf 0,6 Milliarden Kelvin ab und folglich fiel die mittlere kinetische Energie der Teilchen auf einen Wert wesentlich unter 1 MeV. In diesem Bereich sind einerseits die Atomkerne bereits stabil, anderseits aber die Energien noch ausreichend hoch, um effektive Kernreaktionen zu ermöglichen. Dies war die Phase der »primordialen Nukleosynthese« (von lateinisch primordium »Ursprung«), in der etwa ein Viertel der Gesamtmasse an Wasserstoff zu Helium verschmolzen wurde.
 
Infolge der raschen Expansion des Universums wurden in der anschließenden Epoche Temperatur und Materiedichte bereits zu klein, um noch den Aufbau schwererer Elemente zu ermöglichen. Solche Prozesse finden vornehmlich im dichten, heißen Innern der Sterne statt, wo wegen des hohen Drucks geeignete Temperaturen und Teilchendichten herrschen, um Fusionsreaktionen zu zünden und über lange Zeiträume in Gang zu halten. Die erste Brennstufe eines Sterns ist stets das Wasserstoffbrennen, dem sich im Lauf der weiteren Entwicklung das Heliumbrennen und später gegebenenfalls das Kohlenstoffbrennen anschließen. Welche Fusionsstufe in einem Stern erreicht wird, hängt wesentlich von seiner Masse ab. Sterne höherer Masse erreichen in ihren unterschiedlichen Entwicklungsphasen auch höhere Temperaturen im Innern und damit höhere Zündtemperaturen als Sterne geringerer Masse. Aus diesem Grund ist die Fusion sehr schwerer Elemente nur in genügend massereichen Sternen möglich, während in vergleichsweise massearmen Sternen wie der Sonne die Nukleosynthese bereits mit dem Heliumbrennen, also mit der Produktion von Kohlenstoff- und Sauerstoffkernen, zum Erliegen kommt.
 
Unter den vorherrschenden Bedingungen eines lokalen thermischen Gleichgewichts findet der Aufbau höherer Elemente durch Fusion nur dann statt, wenn die dazu erforderlichen Kernreaktionen insgesamt exotherm verlaufen, das heißt, wenn der neue Atomkern (Produkt) eine höhere Bindungsenergie besitzt als insgesamt die zu seiner Bildung notwendigen Ausgangskerne (Edukte). Dieser Unterschied in der Bindungsenergie zwischen der Gesamtheit der Edukte und dem Produkt wird als Reaktionsenergie abgegeben. Nach der Einstein'schen Gleichung E = mc2, die die Äquivalenz von Energie E und Masse m ausdrückt (c ist die Lichtgeschwindigkeit), äußert sich die unterschiedliche Bindungsenergie von Produkten und Edukten gleichzeitig in einem »Massendefekt« genannten Massenunterschied. Die Masse eines stabilen Atomkerns ist stets kleiner als die Summe der Massen seiner Bestandteile. Da die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon eines Kerns beim Element Eisen ein Maximum besitzt, stellen Eisenkerne das schwerste Endprodukt dar, das durch Fusionsreaktionen unter thermischen Gleichgewichtsbedingungen aufgebaut werden kann. Für Atomkerne jenseits des Eisens, das heißt für Elemente mit einer Ordnungszahl größer als 26, nimmt die Bindungsenergie pro Nukleon mit zunehmender Masse ab, sodass es in diesem Bereich vorteilhaft ist, Energie durch Kernspaltung zu gewinnen. Dieser Prozess spielt für die kosmische Energieproduktion allerdings keine Rolle.
 
Für die Elemente jenseits des Eisens stellt sich das Problem ihrer primären Bildung aus kleineren Bausteinen. Wegen der hohen elektrischen Abstoßung kann dies bei den verfügbaren Energien nicht mehr durch Reaktionen von zwei geladenen Stoßpartnern geschehen. Der Bildungsmechanismus ist hier die Anlagerung von Neutronen, die nicht der elektrischen Abstoßung durch den Kern unterliegen, und deren anschließende teilweise Umwandlung in Protonen durch Beta-Zerfall. Auf diese Weise entstehen alle stabilen Kerne mit einer Ordnungszahl größer als 26. Da die Anlagerungsprozesse das Vorhandensein hoher lokaler Neutronendichten voraussetzen, wie sie nur in bestimmten Brennphasen sehr heißer, massereicher Sterne vorkommen — vor allem bei Supernova-Explosionen — soll erst später im entsprechenden Zusammenhang darauf eingegangen werden.
 
Eine wichtige Konsequenz der geschilderten Dreiteilung der Nukleosynthese in primordiale Synthese, stellare Kernfusion und Supernova-Explosionen ist die Abhängigkeit der Elementzusammensetzung vom Entwicklungsalter der Materie. Je mehr Sterngenerationen die Materie durchlaufen hat, umso stärker ist sie mit schweren Elementen angereichert. Da Astrophysiker alle Elemente schwerer als Helium pauschal als »Metalle« bezeichnen, sprechen sie im Allgemeinen auch von »Metallizität«, wenn sie den Gehalt an schweren Elementen meinen.
 
 Physikalische Zustände der kosmischen Materie
 
Die kosmische Materie kommt in sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen und Zuständen vor. Die quantitative Analyse der Spektren zeigt zum Beispiel, dass etwa 90 bis 95 % der Masse der sichtbaren Materie unseres Milchstraßensystems in Sternen konzentriert sind, während der nichtstellare, scheibenförmig verbreitete Anteil, der im Raum zwischen den Sternen vorkommt — die interstellare Materie oder das interstellare Medium —, nur einen Anteil von 5 bis 10 % ausmacht.
 
Die Einschränkung »sichtbare« Materie ist an dieser Stelle wichtig. Sie verweist auf ein Problem, das in den letzten zwanzig Jahren in das Blickfeld der Astrophysik gerückt ist und zunehmend an Brisanz gewonnen hat. Es ist das Problem der »dunklen Materie«. Damit umschreibt man gewisse Beobachtungshinweise auf Wirkungen von großen Materieansammlungen, die mit Galaxien und Galaxienhaufen verbunden sind. Diese manifestieren sich ausschließlich indirekt durch ihre Gravitationseffekte; direkte optische Anzeichen für die Existenz der dunklen Materie konnten bislang nicht entdeckt werden — daher ihre Bezeichnung.
 
Eine vergleichende Analyse der Sternspektren zeigt ein auffälliges systematisches Verhalten und legt für die überwiegende Zahl der Sterne ein Klassifizierungsschema nahe, bei dem diese nach dem Vorkommen und der Stärke bestimmter Spektrallinien geordnet werden. Da die Liniencharakteristika eng mit der Temperatur im Gebiet der Linienentstehung zusammenhängen, drückt sich darin unmittelbar die Oberflächentemperatur des betrachteten Sterns aus. Diese variiert von wenige Tausend Kelvin bei den kühlsten Sternen, deren Materie in den äußersten Schichten vorwiegend neutral ist und in atomarer und molekularer Form vorliegt, über die sonnenähnlichen Sterne mit einer Oberflächentemperatur um etwa 5000 Kelvin — mit neutralem Wasserstoff und Helium, aber bereits vielen schweren Elementen in ionisierter Form — zu Maximalwerten von bis zu 100 000 Kelvin bei den heißesten Sternen, in deren Atmosphären alle Atome ionisert sind. Verglichen mit der Materie in den äußeren Schichten der Sterne ergibt die Spektralanalyse der interstellaren Materie zwar ebenfalls eine weitgehend einheitliche Elementzusammensetzung, aber eine viel uneinheitlichere Struktur, mit extremen Schwankungen der lokalen Teilchendichte und Temperatur.
 
Aus den Spektren allein lassen sich jedoch nicht alle Größen gewinnen, die astronomische Objekte charakterisieren. Im Rahmen theoretischer Modelle der Sternatmosphären erlauben die beobachteten Spektren zum Beispiel lediglich die Ableitung der Häufigkeiten der einzelnen Elemente sowie der lokalen Gravitation und der effektiven Temperatur des Sterns. Weiter gehende Schlüsse, etwa auf die Leuchtkraft, das heißt auf die gesamte Strahlungsleistung, erfordern die Kenntnis des Sternradius, das heißt der Größe und somit der Entfernung des Sterns. Letztere ist ebenfalls für die Bestimmung der Masse des Sterns und bei Doppelsternen zur Ableitung der geometrischen Dimension des Systems sowie wichtiger Bahndaten erforderlich.
 
Prof. Dr. Erwin Sedlmayr, Dipl.-Phys. Karin Sedlmayr und Dr. Achim Goeres
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Entfernungsbestimmung in der Astronomie
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Materie: Die atomare Struktur
 
 
Cambridge-Enzyklopädie der Astronomie, herausgegeben von Simon Mitton. Aus dem Englischen. Sonderausgabe München 1989.
 
Der große JRO-Atlas der Astronomie, herausgegeben von Jean Audouze u. a. Aus dem Französischen. München 21990.
 Henkel, Hans Rolf: Astronomie. Thun u. a. 41991.
 Herrmann, Joachim: Astronomie. Eine Einführung in die Welt des Kosmos. Sonderausgabe München 1990.
 Herrmann, Joachim: dtv-Atlas zur Astronomie. Tafeln und Texte. Mit Sternatlas. München 111993.
 Herrmann, Joachim: Großes Lexikon der Astronomie. München 41986.
 Kaler, James B.: Sterne und ihre Spektren. Astronomische Signale aus Licht. Aus dem Amerikanischen. Heidelberg u. a. 1994.
 Lederman, Leon M. und Schramm, David N.: Vom Quark zum Kosmos. Teilchenphysik als Schlüssel zum Universum. Aus dem Amerikanischen. Heidelberg 1990.
 
Lexikon der Astronomie, bearbeitet von Rolf Sauermost. 2 Bände Lizenzausgabe Heidelberg u. a. 1995.
 
Meyers Handbuch Weltall, Beiträge von Joachim Krautter u. a. Mannheim u. a. 71994.
 Smolin, Lee: Warum gibt es die Welt? Die Evolution des Kosmos. Aus dem Amerikanischen. München 1999.
 Unsöld, Albrecht und Baschek, Bodo: Der neue Kosmos. Berlin 51991.
 Voigt, Hans-Heinrich: Abriß der Astronomie. Mannheim u. a. 51991.
 Weigert, Alfred und Wendker, Heinrich J.: Astronomie und Astrophysik. Ein Grundkurs. Weinheim u. a. 31996.
 Zimmermann, Helmut und Weigert, Alfred: ABC-Lexikon Astronomie. Heidelberg u. a. 81995.

Universal-Lexikon. 2012.

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